Station des Rundgangs "Auf Lessings Spuren" Carl Johann Anton Cichin 1723/24 – 1793 Bibliothekssekretär
Sein Leben ist nicht zuverlässig dokumentiert, und über seine Herkunft, sein Geburtsjahr und das Jahr seines Dienstantritts als »Secretarius« in Wolfenbüttel gibt es unterschiedliche Angaben, strittig ist auch sein Adelstitel. Es wundert also nicht, dass für die Lebensbeschreibung Cichins die Fama eine wesentliche Rolle spielt. Geboren ist er in München. Der Lessing-Biograph zweiten Sekretärs außer dem »Bibliotheksknecht« [Helms] Lessings einziger Gehilfe«.
Auch nach Darstellung Paul Raabes war Cichin ein »undurchsichtiger Mann, von dem gemunkelt wurde, dass er ein natürlicher Sohn des Kaisers Karl VI. sei, der mit einer Wolfenbütteler Prinzessin verheiratet war, und dass er – ein entlaufener Dominikaner oder Kapuziner – zum protestantischen Glauben übergetreten sei. Seit 1759/60 in Wolfenbüttel tätig, gebildet, intrigant, fleißig, begegnete er Lessing mit Bewunderung und Verachtung zugleich [...], verzeichnete nach seinem Tod die Bücher, die man in der Erich Schmidt spricht von einem »entlaufenen bayrischen Mönch von zweideutiger Herkunft und Haltung, der sich als Konvertit an den gutmütigen Herzog [Carl I.] geheftet hatte, fortan ihn in seiner ewigen tragikomischen Geldklemme mit großsprecherischen Bettelbriefen überschüttete, sogar unverschämt auf eine geheime Adaption pochend, und gleich im ersten Winter Lessings Bürgschaft in Anspruch nahm. Dieser abenteuerliche, störrische Schuldenmacher war leider nach der 1771 erfolgten Verabschiedung eines Wohnung fand, und versah seine Aufzeichnungen mit sarkastischen Bemerkungen«.
Nach Stipendiatenjahren am Helmstedter Juleum (1756 – 58) arbeitet C. bereits mehr als ein Jahrzehnt in der Wolfenbütteler Bibliothek, als er am 7. Mai 1770 der feierlichen Amtseinweisung Lessings durch den Geheimen Rat Praun beiwohnt. Das Verhältnis zu seinem Vorgesetzten ist dabei keineswegs frei von Spannungen. Lessing bleibt Tage, Wochen, Monate und von 1775 bis 1776 auch ein ganzes Jahr der Bibliothek fern, was die Eigenmächtigkeiten des im Umgang schwierigen Cichin nur verstärken konnte. Hinzu kommt eine unstrittige Nonchalance Lessings in praktischen Angelegenheiten wie der Rechnungsführung, der Registratur (etwa bei Neuerwerbungen) oder der Ausleihpraxis (nicht zuletzt der eigenen – das Ausfüllen von Leihzetteln war Lessings Sache nicht, und auch Bücher anderer Bibliotheken konnte er jahrelang behalten).
Cichins Aufzeichnungen und Dokumente geben wertvolle Auskünfte über die Ärgernisse und Schwierigkeiten des bibliothekarischen Alltags, etwa zu den Fragen der Aufstellung (»Rangierung«) der Bücher, des Umgangs mit Doubletten, der Ausleihpraxis oder zu den Fragen der Öffnungszeiten, Signaturenvergabe, Katalogisierung usw. Lessings Größe hat er freilich gesehen, und in einer Aktennotiz festgehalten: »Pro memoria.. Den 15.ten dieses Monaths hat Fürstl. Bibliothec durch den in Braunschweig erfolgten Tode des Herrn Hofrath Lessing ihren Bibliothecarium, und Teutschland seinen großen und durch seine Schriften berühmten Gelehrten verlohren. Cui Requiem«.
Gewohnt hat Carl Johann Anton Cichin unweit der Bibliothek in der Mühlenstraße 3; das Wohnhaus, in dem er im Jahr 1793 verstarb, ist heute durch einen Neubau ersetzt.